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Wirtschaft
Albrecht K. Kaiser praktiziert seit
über 25 Jahren in Bonn eine manuel-
le Heilkunst, die als osteopathische
Medizin auf eine über 140-jährige
Tradition und medizinische Entwick-
lung zurückschaut. Kaiser wurde mit
einer Arbeit zu den medizin-philo-
sophischen Grundlagen der Osteo-
pathie promoviert. In diesem Inter-
view mit KABINETT beantwortet er
Grundsätzliches zum Wesen sowie
zum gesellschaftlichen Status quo
der Osteopathie und wie diese sich
heute darstellen.
Dr. Albrecht K. Kaiser Foto © KABINETT
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Mit der Berührung beginnt Heilung
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Elke Dagmar Schneider im Gespräch mit dem Bonner Osteopathen Dr. phil. Albrecht Konrad Kaiser
Herr Dr. Kaiser, wie sind Sie zur Os- der konservativen Orthopädie hinaus. Kind nicht verstehen können. Aber ich
teopathie gekommen, und welche Viele Menschen, die medizinisch im Ge- habe erlebt, dass sich daraus, dass ich
Eigenschaften sollte ein Osteopath sundheitswesen betreut werden, werden sie mit meiner Hand berührt habe, eine
mitbringen? im doppelten Sinne nicht betreut. Ge- Beziehung entwickelte und sie aus ihrer
sundheitserleben eines Patienten oder Starre, ihrer Trauer kurzzeitig heraus-
Der Zugang zur Osteopathie ist für
jeden individuell. Bei mir war es die dessen Verlust lässt sich in der Medizin kam. Durch Berührung entsteht eine
Fortsetzung einer langjährigen physio- nicht vollumfänglich abbilden: Stich- Gemütsveränderung, die vom Alter un-
therapeutischen Tätigkeit. Mitte der wort medizinische Leitlinientherapie. abhängig ist. In der Wechselbeziehung
zwischen Berühren und Berührtwerden
Der Arzt ist nicht mehr fähig, selbstän-
1980er, Anfang der 1990er Jahre ist
man aus den USA mit dem Angebot an dig zu denken. Es ist wichtig, Menschen spielt sich therapeutisches Erleben ab.
mich herangetreten, mich vertiefend zu berühren, um in direkten Dialog mit Mir war früh bewusst, dass ich dem
mit Osteopathie zu beschäftigen. Das ihnen zu kommen, das Krankheitserleb- nachspüren sollte. Ich bin immer dran-
habe ich gemacht, bin also quasi von nis des Patienten auch selbst zu erleben geblieben. Das ist wie ein Lebensstrang
bei mir. Ich habe mich nicht unterbre-
bzw. empathisch nachzuvollziehen, um
außen „geschubst“ worden. Ich habe
den Weg nie verlassen, weil der Zugang daraus eine individuelle Behandlungs- chen lassen. Meine Patienten können
zur Osteopathie für viele, die die Os- strategie zu entwickeln. kompliziert sein und psychisch anstren-
teopathie praktizieren, eine vertiefende Der Mann meiner Urgroßmutter ist gend. Aber es muss mit Stil sein, mit
Erweiterung der klassischen Physiothe- 1918 im Ersten Weltkrieg gefallen. Sie gegenseitigem Respekt und Anerken-
nung, wenn man Verantwortung über-
rapie oder allgemein der Medizin dar- hat in Folge nie wieder geheiratet. Ihre
stellt. Dies geht weit über die Formen tiefe lebenslange Trauer habe ich als nimmt, osteopathisch zu behandeln.
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