Page 16 - KABINETT-2020-01
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Politik







                                               Dr. Waldemar Ritter:






                                               Zur Lage der Nation oder  was kommt da auf uns zu?















                                                   „Für Deutschland beginnt eine Epoche des Gegenwinds“, sagte der
                                                   Bundespräsident. Die Lage ist bedrohlich!
                                                   Wegen des russischen AngriÈskrieges gegen die Ukraine kommen die
                                                   schwierigsten Zeiten seit der Wiedervereinigung auf uns zu.
                                                   Wir brauchen keine Kriegsmentalität, sondern Widerstandskra“ und
                                                   -geist, sowie den Willen zur Selbstbehauptung und Einschränkung.

                                                   Wir  erleben  einen  Bundespräsidenten,  der  bemerkenswert  deutliche
                                                   Worte in dieser historischen Krise Éndet.

                                                   Er unterbreitete den Vorschlag einer sozialen Pflichtzeit. Menschen
                                                   sollten mindestens einmal in ihrem Leben sich den Sorgen anderer
          Dr. Waldemar Ritter
          Foto © Ur                                Menschen widmen und für sie da sein.

            KABINETT: Ist dies die allgemeine AuÈassung in Regierung und Parlament?
            RITTER: Das weiß ich nicht. Der Bundespräsident kann nur appellieren und das hat er in beeindruckender Weise getan. Nun liegt es an der
            operativen Politik, die Aufgaben unseres Landes zu lösen, wie das der Oppositionsführer des Deutschen Bundestages betonte.
            KABINETT: Wie sieht es mit der Energiekrise, Inflation, und den Preisen aus?

            RITTER: Deutschland erlebt gerade eine schwere Wirtschaftskrise. Der deutsche Topökonom Marcel Fratzscher hat es etwas zugespitzt
            ausgedrückt. Wir werden 10 Jahre unter dieser Krise leiden, denn wir sind noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angelangt.
            Der Internationale Währungsfonds rechnet für das kommende Jahr mit einer stagnierenden Weltwirtschaft und spricht von düs-
            teren Aussichten. Die jüngsten Indikatoren bestätigen, dass die Aussichten trübe sind, insbesondere in Europa.
            Dieses Jahr liegt die In ation in Deutschland bei ca. 9 Prozent, nächsten Jahr werden es wahrscheinlich 7 Prozent oder 8 Prozent
            sein. Danach erfahren wir bestenfalls einen Stillstand auf diesem Niveau. Die Löhne werden voraussichtlich weit weniger steigen. Die
            Konsequenzen werden sich in den nächsten anderthalb Jahren für viele Menschen verschlimmern.
            Bei sinkender Kaufkraft haben wir dann bei den Lebensmitteln einen Preisanstieg von 20 Prozent.
            Die In ation ist zutiefst asozial. Hinzu kommt ein sehr deutsches Problem. Fast 40 Prozent der Menschen haben hierzulande kaum
            Ersparnisse und stehen vor unüberwindlichen Problemen angesichts der Kosten im Bezug zu ihrem Realeinkommen.
            Menschen aus der Mitte trifft diese Krise besonders hart. Der Sozialstaat versagt in einem gewissen Maße. Die Bundesregierung hat
            bislang 200 Milliarden Euro an Entlastungspaketen aufgelegt. Unser Wirtschaftssystem funktioniert nur, wenn es einen sozialen Aus-
            gleich gibt. Doch das scheint hierzulande immer weniger der Fall zu sein.

            KABINETT: In diesen unsicheren Zeiten steht sehr viel auf dem Spiel.
            RITTER: Ja, sogar Lebenswichtiges. Menschen sorgen sich um ihre Zukunft, die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und den Zu-
            stand unserer Gesellschaft drohen zu kippen. Die Krisen sind global, jedoch wirken sich Ergebnisse für alle unterschiedlich aus. Die
            Transformation der Gesellschaft - Klimaneutralität, technologischem Wandel und Digitalisierung - könnte die gesamte Gesellschaft in
            Gewinner und Verlierer spalten, das gilt es zu verhindern.


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