Page 12 - KABINETT-2020-01
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Kultur

                               Kapitalismus als Ausstellungsthema

                                           in der Bundeskunsthalle


                                                            Von Peter Köster

            Man glaubt sich in ein Waren-                                                      gar   Raubkapitalismus.  Wie
            lager eines großen Versandhan-                                                     immer gebe es zwei Seiten.
            dels versetzt. Wohin man schaut                                                    Wo Vorteile seien, seien  auch
            Regale, die teils mit Artikeln                                                     Nachteile wie Vereinsamung,
            bestückt sind. Wer die Ausstel-                                                    Umweltzerstörung, usw. „Wir
            lung „Wir Kapitalisten. Von An-                                                    geben eine Diskussionsgrundla-
            fang bis Turbo“, die bis zum 12.                                                   ge und Reflexionsmöglichkeit,
            Juli in der Bundeskunsthalle in                                                    mit Hilfe derer sich Besucherin-
            Kooperation mit der Bundes-                                                        nen und Besucher ihr eigenes
            zentrale für politische Bildung                                                    Bild und ihre eigene Einschät-
            gezeigt wird, besucht, reibt sich                                                  zung formen können.“
            erst einmal verwundert die Au-
            gen. Wieso diese Anordnung?
            Das Regal-System ist wichtiger                                                     Hohe gesellschaftliche
            Bestanteil der Ausstellung, in                                                     Relevanz
            der die mit Waren bestückten                                                       Mit annähernd 250 Objekten
            Regale wichtige Parameter für                                                      von 90 Leihgebern aus Kunst,
            den Kapitalismus liefern.                                                          Geschichte und Alltagskultur
                                                                                               ermöglicht die Ausstellung eine
                                                                                               Annäherung an ein komplexes
            Gesellschaftssystem das                                                            Thema von hoher gesellschaft-
            Generation geprägt hat                                                             licher Relevanz – und großer
            Wir Kapitalisten. Von Anfang bis                                                   Lebensnähe.  Viele  Exponate
            Turbo“ ist eine Ausstellung, die                                                   entstammen Kunstformen von
            versucht, die Komplexität des                                                      besonders intensiver Lebensnä-
            Kapitalismus zu beschreiben, die                                                   he wie Fotografie, Film und Vi-
            der Frage nachgeht, was eigent-                                                    deokunst. Geografisch ist keine
            lich Kapitalismus ist und die   Klaus Staeck Macht euch die Erde untertan 1987
                                          © Edition Staeck
            nicht zuletzt die Frage aufwirft:
            Was ist ein Kapitalist. Hand aufs Herz:   formt der Kapitalismus unsere Identität
            Sind wir nicht alle Kapitalistinnen und     und Geschichte, zum Beispiel hinsicht-
            Kapitalisten. Wir neigen zum Egoismus,   lich Individualität, Zeitempfinden  und
            zur Verschwendung. Häufig sind wir von   materiellem Eigentum? Und können
            der  Gier  nach  noch  mehr  Geld,  noch   oder wollen – wir daran etwas ändern?
            mehr Besitztum getrieben. „Der Kapi-
            talismus ist ein Gesellschaftssystem, das
            uns seit Generationen geprägt hat“, sagt   Viele Verbesserungen gebracht
            Wolfgang Stumpfe, der die Ausstellung   Dazu Wolfgang Stumpfe: „Es ist wich-
            in der Bundeskunsthalle kuratiert.     tig, die Wirkungsweisen relativ neutral
                                                   zu beschreiben. Ich finde es wenig hilf-
            Die Schau, deren Vorbereitungszeit     reich, sich dem allgemeinen Lamento
            über drei Jahre dauerte, betrachtet aus   über den Kapitalismus anzuschließen,
            einer kulturhistorischen Perspektive die   ohne zu sehen, dass das kapitalistische
            grundlegenden Eigenschaften des Kapi-  System vielen Menschen – uns hier
            talismus: Rationalisierung, Individuali-  in  Deutschland  beispielsweise  –  sehr
            sierung, Akkumulation, Geld und Inves-  viele Verbesserungen gebracht hat,
            titionen sowie typische kapitalistische   auch über unseren großen materiel-
            Dynamiken wie ungebremstes Wachs-      len Reichtum hinaus. Dinge wie eine
            tum und schöpferische Krisen. Stumpfe   fabelhafte  Gesundheitsversorgung,
            nennt dies „DNA des Kapitalismus“. Sie   Alterssicherung, und der gleichen“.
            sei im übertragenen Sinne längst Teil   Stumpfe  spricht  hier  allerdings  nicht
            unserer  eigenen  DNA  geworden.  Wie   von den Extremen eines Turbo- oder



            10  |  Kabinett                                                              Arman Minutes 1991; Galerie Templon, Paris
                                                                                         © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
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