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Kultur
Kapitalismus als Ausstellungsthema
in der Bundeskunsthalle
Von Peter Köster
Man glaubt sich in ein Waren- gar Raubkapitalismus. Wie
lager eines großen Versandhan- immer gebe es zwei Seiten.
dels versetzt. Wohin man schaut Wo Vorteile seien, seien auch
Regale, die teils mit Artikeln Nachteile wie Vereinsamung,
bestückt sind. Wer die Ausstel- Umweltzerstörung, usw. „Wir
lung „Wir Kapitalisten. Von An- geben eine Diskussionsgrundla-
fang bis Turbo“, die bis zum 12. ge und Reflexionsmöglichkeit,
Juli in der Bundeskunsthalle in mit Hilfe derer sich Besucherin-
Kooperation mit der Bundes- nen und Besucher ihr eigenes
zentrale für politische Bildung Bild und ihre eigene Einschät-
gezeigt wird, besucht, reibt sich zung formen können.“
erst einmal verwundert die Au-
gen. Wieso diese Anordnung?
Das Regal-System ist wichtiger Hohe gesellschaftliche
Bestanteil der Ausstellung, in Relevanz
der die mit Waren bestückten Mit annähernd 250 Objekten
Regale wichtige Parameter für von 90 Leihgebern aus Kunst,
den Kapitalismus liefern. Geschichte und Alltagskultur
ermöglicht die Ausstellung eine
Annäherung an ein komplexes
Gesellschaftssystem das Thema von hoher gesellschaft-
Generation geprägt hat licher Relevanz – und großer
Wir Kapitalisten. Von Anfang bis Lebensnähe. Viele Exponate
Turbo“ ist eine Ausstellung, die entstammen Kunstformen von
versucht, die Komplexität des besonders intensiver Lebensnä-
Kapitalismus zu beschreiben, die he wie Fotografie, Film und Vi-
der Frage nachgeht, was eigent- deokunst. Geografisch ist keine
lich Kapitalismus ist und die Klaus Staeck Macht euch die Erde untertan 1987
© Edition Staeck
nicht zuletzt die Frage aufwirft:
Was ist ein Kapitalist. Hand aufs Herz: formt der Kapitalismus unsere Identität
Sind wir nicht alle Kapitalistinnen und und Geschichte, zum Beispiel hinsicht-
Kapitalisten. Wir neigen zum Egoismus, lich Individualität, Zeitempfinden und
zur Verschwendung. Häufig sind wir von materiellem Eigentum? Und können
der Gier nach noch mehr Geld, noch oder wollen – wir daran etwas ändern?
mehr Besitztum getrieben. „Der Kapi-
talismus ist ein Gesellschaftssystem, das
uns seit Generationen geprägt hat“, sagt Viele Verbesserungen gebracht
Wolfgang Stumpfe, der die Ausstellung Dazu Wolfgang Stumpfe: „Es ist wich-
in der Bundeskunsthalle kuratiert. tig, die Wirkungsweisen relativ neutral
zu beschreiben. Ich finde es wenig hilf-
Die Schau, deren Vorbereitungszeit reich, sich dem allgemeinen Lamento
über drei Jahre dauerte, betrachtet aus über den Kapitalismus anzuschließen,
einer kulturhistorischen Perspektive die ohne zu sehen, dass das kapitalistische
grundlegenden Eigenschaften des Kapi- System vielen Menschen – uns hier
talismus: Rationalisierung, Individuali- in Deutschland beispielsweise – sehr
sierung, Akkumulation, Geld und Inves- viele Verbesserungen gebracht hat,
titionen sowie typische kapitalistische auch über unseren großen materiel-
Dynamiken wie ungebremstes Wachs- len Reichtum hinaus. Dinge wie eine
tum und schöpferische Krisen. Stumpfe fabelhafte Gesundheitsversorgung,
nennt dies „DNA des Kapitalismus“. Sie Alterssicherung, und der gleichen“.
sei im übertragenen Sinne längst Teil Stumpfe spricht hier allerdings nicht
unserer eigenen DNA geworden. Wie von den Extremen eines Turbo- oder
10 | Kabinett Arman Minutes 1991; Galerie Templon, Paris
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